„Der Himmel hängt voller Geigen“, ob in einem Lied der Puhdys, in Grimmelshausens „Simplicissimus“ oder einer Operette von Leo Fall. Kommt man in die Werkstatt von Türkenfelds Geigenbaumeister Paul Lijsen, hängen die Geigen tatsächlich – zwar nicht am Himmel, aber an der Werkstattdecke oder in Regalen.
Doch bevor die Geige an die Decke kommt, muss sie ja erst mal gebaut werden und danach „reifen“ wie ein guter Rotwein, sagt der Meister. Seine Wertmaßstäbe holte sich Paul Lijsen dabei von hochrangigen italienischen und französischen Altmeistern aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Bei fachmännischer Bauweise verlässt eine Geige frühestens nach fünf Jahren die Werkstatt. Zwischenzeitlich muss sie auch immer wieder bespielt werden – das gehört zum Reifeprozess. Aus diesem Grunde ist in der Werkstatt in der Zankenhausener Straße 6 immer ein reichhaltiger Fundus an Instrumenten vorhanden.
Paul Lijsen unterscheidet zwischen Meister- und Manufakturinstrumenten. Beide sind zwar handgemacht, letztere entstehen aber in Serie, sind schnell verfügbar und fürs Lernen gedacht. Die reine Arbeitszeit, um eine Geige zu bauen, beläuft sich auf ca. 200 Stunden. In den Musikschulen der Region sind viele Mietgeigen aus Pauls Werkstatt in Gebrauch. Den notwendigen Service rund ums Instrument inbegriffen.
Natürlich werden in der Werkstatt von Paul Lijsen nicht nur Geigen, sondern auch Bratschen, Celli und Kontrabässe von Meisterhand gebaut. Auf der Suche nach dem optimalen Klang kommt es auch vor, dass ein fertiges Instrument wieder verändert wird. Würde man die Instrumente mit Singstimmen vergleichen, wäre die Geige die Sopranstimme, die Bratsche der Alt und das Cello der Tenor. Beim Kontrabass ist die Stimme schon im Begriff enthalten.
Aller Anfang ist schwer …
Paul Lijsens Selbstständigkeit als Geigenbauer begann im Mai 1974 in Moorenweis. Sechs Jahre später, im Jahr 1980, ergab sich die Gelegenheit, in Türkenfeld in der Zankenhausener Straße ein Haus zu kaufen, in dem er sich selbst und auch seine Werkstatt einrichtete. Doch zuvor musste noch einiges renoviert werden. Die meiste Arbeit machte die Trockenlegung der Grundmauern, weiß Paul heute noch zu berichten.
Natürlich wird man nicht als Geigenbaumeister geboren, man muss eine umfangreiche Ausbildung durchlaufen und anschließend viel Berufserfahrung sammeln. Wenn man wie Paul in Bad Tölz geboren und in Lenggries aufgewachsen ist und zudem den Berufswunsch hat, Geigen zu bauen, ist es naheliegend, eine Lehre an der Staatlichen Fachschule für Geigenbau in Mittenwald zu absolvieren. Die Prüfungen zum Geigenbaumeister legte Paul 1973 in der Handwerkskammer München ab. Am Ende gab es den ersehnten Meisterbrief mit Urkunde!
Die berufliche Zeit dazwischen nutzte er, um sein Wissen über die Instrumente nach und nach zu erweitern. Bis zur Selbstständigkeit arbeitete Paul in einer Münchner Meisterwerkstatt, dessen Inhaber er noch aus der Lehrzeit von Mittenwald kannte. Die Werkstatt war bekannt für Reparaturen oder Restaurationen an Geigen und anderen Saiteninstrumenten.
Im Bergwald auf der Suche nach Baumaterial
Im Fachjargon spricht man nicht einfach von geeignetem Holz zum Bau eines Instrumentes, nein, man nennt es Klang- oder Resonanzholz, welches am Ende die Geige zum Klingen bringen soll! Die für eine Geige verwendeten Resonanzhölzer sind Bergwaldfichte für die Decke und Bergahorn für den Boden, die Zarge und die Schnecke.
Zur Materialgewinnung sucht sich Paul jedes Jahr eine (!) passende Bergwaldfichte zum Fällen aus. Ein Baum für die Geigenbauwerkstatt muss auf über 1000 Meter Höhe an einem windgeschützten Platz wachsen und sollte bis zu einer Höhe von etwa 15 Metern astfrei sein. Wuchsgebiete für derartige Resonanzholzbäume findet man zum Beispiel in den Dolomiten. Das entfernteste Exemplar brachte er aus Bosnien mit nach Hause!
Ebenso wird ein geeigneter Bergahornbaum ausgewählt und gefällt. Der Stamm, meist mit einem Durchmesser von 70-75 cm, wird zur Weiterverarbeitung nach Mindelheim verbracht. Ein dort ansässiger holzverarbeitender Betrieb verfügt über entsprechend großes Werkzeug, um den Stamm zersägen zu können. Dies geschieht natürlich unter den wachsamen Augen von Paul Lijsen, der auch dem Wuchs des Stammes entsprechend die weiteren Schnitte festlegt. Wieder zuhause, werden die Klanghölzer weiterbearbeitet und im Holzlager fein säuberlich nach Herkunft und Fälljahr beschriftet. Ebenso gekennzeichnet wird die Wertigkeit, wie gleichmäßige Jahresringe bei der Fichte oder die Maserung bei Ahornhölzer. Danach beginnt die Reifezeit des Klangholzes, um in 10 Jahren zu einem wohlklingenden Instrument verarbeitet zu werden – entweder vom Meister selber oder von anderen Geigenbauern, die wissen, dass hier besonders gut „gereiftes“ Klangholz vorrätig ist.
Übrigens: Der Name Lijsen, „Leisen“ ausgesprochen, stammt aus dem Holländischen. Früher fand auch die Schreibweise „Lysen“ bei ihm Verwendung.
Gleich neben seinem Resonanzholzlager hat Paul sich einen Anspiel- und Präsentationsraum eingerichtet, „Happy Soundwood“ (siehe Bild). Dekoriert mit Geigen und Bratschen neben schönen Bildern und anderem Dekor. Ein passendes Ensemble, um seine Geigen, Bratschen oder Celli dort erklingen zu lassen. Hier wäre ein poetischer Sinnspruch der Klangholz verarbeitenden Zunft angebracht: „Im Walde schweigest Du, doch durch des Meisters Hand wirst du singen wie die süßeste Nachtigall.“
Fünf Lehrlinge in 50 Jahren
Damit auch der Nachwuchs in der Zunft der Geigenbauer gesichert bleibt, hat Paul Lijsen im Laufe der Jahre fünf Lehrlinge zur Gesellenprüfung gebracht. Die Ausbildungszeit dauert drei Jahre. Alle fünf sind nach wie vor im Beruf tätig. Drei davon konnten sich als Landes- und Bundessieger küren lassen! Auch zwei seiner Söhne haben es dem Vater gleichgetan und sich zum Geigenbauer ausbilden lassen.
Rechnet man von 1974 bis 2024, kommt man auf die Summe von 50 Jahren, in denen Paul Lijsen seine Geigenbau-Werkstatt am Laufen hielt! Im Juni feierte er dazu im kleinen Kreis sein „Fünfzigjähriges Werkstattjubiläum“.
Auch wir von der TiB-Redaktion gratulieren Paul Lijsen herzlichst und wünschen weiterhin künstlerisches Schaffen und eine erfüllende Zeit mit Klanghölzern und allem, was man daraus erschaffen kann. Denn aufhören will Paul Lijsen noch lange nicht! Unter dem Motto „Vom Bergwald auf die Bühne der Musik“ hat er immer „sein Ziel erreicht.“
Waldemar Ludwig
Erschienen in der Winterausgabe 2024 – TiB Nummer 44, Seite 2