Am 8. Mai 1945 endete der 2. Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. In den Wochen davor waren die alliierten Truppen überall Schritt für Schritt vorgerückt, Bayern wurde von den Amerikanern besetzt.
Nachdem die US-Streitkräfte am 28. April 1945 bei Kaufering von West nach Ost über eine noch intakte Eisenbahnbrücke und eine Pontonbrücke den Lech überquert hatten, zog sich die deutsche Wehrmacht weiter in Richtung Amper zurück, um dort eine neue Verteidigungslinie aufzubauen. Zwischen Lech und Ammersee wurden die US-Truppen immer wieder in Kämpfe mit den Nazis verwickelt. Es gab Tote auf beiden Seiten. Dennoch, die Überlegenheit und der Vorwärtsdrang der Amerikaner konnte nicht gebrochen werden. Bereits einen Tag später am 29. April 1945 sind US-Streitkräfte in Türkenfeld einmarschiert. Es war ein Sonntagvormittag. Viele Türkenfelder und Türkenfelderinnen waren zu diesem Zeitpunkt in der Kirche bei der Sonntagsmesse.
Die Amis kommen
Will man heute die damalige Stimmung im Dorf dazu einfangen, muss man leider feststellen, dass nicht mehr allzu viele Zeitzeugen auszumachen sind, die Konkretes erzählen können. Die heute 80- und 90-Jährigen waren damals Kinder und Jugendliche, ihre Eltern sind mittlerweile verstorben. Andreas „Anderl“ Thalmayr zum Beispiel war zum Zeitpunkt des Einmarsches der US-Truppen in Türkenfeld im 14. Lebensjahr und hat noch ziemlich deutliche Erinnerungen daran. Während im Rundfunk – Anderls Familie war in der glücklichen Lage, eines der wenigen Radios im Dorf zu besitzen – immer noch Durchhalteparolen der Nazis verbreitet wurden, waren die Amerikaner bereits dabei, den Landkreis von Westen her zu erobern. Anderls Erinnerungen zufolge erzählte man, die Amis würden am 27. April Türkenfeld erreichen, also zwei Tage früher, als der tatsächliche Einmarsch letztlich war. Für diesen Tag hatten wohl einige Türkenfelder eine weiße Fahne auf dem Kirchturm befestigt, um ihre Kooperation zu signalisieren, wie in manch anderen Orten auch geschehen. An diesem Tag aber kamen die Amis nicht und auch nicht am nächsten. Nun machte sich bei den betreffenden Personen Angst breit, es könnte Ärger mit den noch vorhandenen Nazistrukturen geben. Aber bis zum endgültigen Eintreffen der US-Streitkräfte am 29. April 1945 blieb alles ruhig!
Als die Amerikaner eintrafen, war, so berichten die Zeitzeugen, der Ablauf immer gleich: Die US-Soldaten kamen in die Häuser oder Wohnungen, schickten die Bewohner ins Freie und durchsuchten alles. Hatten die Bewohner Glück, durften sie wieder in ihre Räumlichkeit zurück, wenn nicht, dann zogen die Soldaten ein und sie selbst mussten sich anderweitig, zum Beispiel im Heustadel, notmäßig unterbringen. Auch die Familie von Andreas Thalmayr musste ihr Haus verlassen und sich in der Elektro-Werkstatt des Vaters behelfsmäßig einrichten, während die Amis das Wohnhaus bezogen.
Auch die damals siebenjährige Zeitzeugin Käthe Thalmayr – sie kam zwei Monate vor den Amerikanern mit Mutter und Schwester als Vertriebene nach Türkenfeld – musste mehrmals wegen der Amerikaner die ihnen zugewiesene Unterkunft wechseln. Eine weitere Zeitzeugin, die in Türkenfeld geborene Emma Brandner, wohnte in der Hausnummer 11, links nach dem Schmittenberg. Die damals gerade Sechsjährige erinnert sich, dass zwei US-Soldaten für zwei Nächte auf dem Anwesen in der heutigen Moorenweiser Straße Quartier bezogen hatten. Sie meint heute: Viel Verständigung, mangels Sprachkenntnis auf beiden Seiten, war nicht möglich. Aber sie hat beide Soldaten als nette Personen in Erinnerung behalten. Die Süßigkeiten, die sie von ihnen bekommen hatte, trugen wohl auch dazu bei.
Etwas aber deckt sich in der Erinnerung der befragten Zeitzeugen. Nachdem die amerikanischen Soldaten alle Räumlichkeiten nach eventuell sich versteckenden Soldaten oder Nazis durchsucht hatten, wurde im Anschluss daran die Küche besetzt, um sich dort mit den erbeuteten Eiern Rührei, Spiegelei oder ähnliches zuzubereiten! Auch, dass die amerikanischen Soldaten zu den Kindern freundlich waren und sie sich mit süßen Geschenken (Kaugummi in Streifen oder Schokolade) in der Erinnerung der damaligen Kinder bis heute verewigten.
Andreas Thalmayr erinnert sich auch an eine brenzlige Situation. Ein deutscher Soldat, noch in Uniform, hatte sich mit dem Einverständnis seines Vaters auf dem Anwesen versteckt. Er wollte sich zu seiner Familie nach Augsburg durchschlagen und bat darum, ihn nicht an die US-Soldaten zu verraten. Mit zivilen Klamotten ausgestattet wollte er sich bei Dunkelheit weiter auf den „Heimweg“ nach Augsburg machen. Leider wurde daraus nichts. Am selben Tag hatten die Amis das Wohnhaus besetzt, der Soldat wollte kein Risiko eingehen und stellte sich den Amerikanern. Jahre später besuchte der damalige Soldat die Familie Thalmayr und erzählte, wie es ihm auf seinem langen Weg „nach Hause“ ergangen war.
Die Amerikaner organisieren die Verwaltung
Der Ort war besetzt, nun galt es herauszufinden, wer ist bzw. war ein Nazi? Außerdem war es notwendig, die Administration der Gemeinde weiterzuführen bzw. neu auszurichten. Dazu wurde jede erwachsene Person in Türkenfeld und Zankenhausen mittels Karteikarte (siehe Bild) registriert. Konnte über die jeweilige Person nichts Verdächtiges festgestellt werden, stempelte man die Karte mit „DISCHARGED“ im Sinne von „Entlastet.“ Ferner gab es noch eine temporäre Registrierkarte mit Fingerabdruck, die zum Aufenthalt, in diesem Fall in Zankenhausen, berechtigte. Das in unserem Beispiel darauf vermerkte Datum ist bereits der 24. Juli 1945, also knapp drei Monate nach dem Einmarsch der Amerikaner in Türkenfeld ausgestellt.
Verglichen mit anderen Orten im Landkreis, in denen es im April 1945 noch Gefechte, Verletzte und sogar Tote gab, kam unser Ort vergleichsweise glimpflich davon. Und das, obwohl auf Türkenfelder Flur westlich des Dorfes seit Sommer 1944 ein kleines Lager der Organisation Todt (OT, zuständig für die Rüstungsproduktion) aufgebaut wurde. Ein Aufklärungsfoto der Royal Air Force vom 20. April 1945 zeigt die Strukturen des für etwa 600 Gefangene vorgesehenen Arbeitslagers.
Wie lange genau sich die Amerikaner in Türkenfeld aufgehalten haben, konnte leider nicht in Erfahrung gebracht werden.
Erschienen in der Sommer TiB – Ausgabe 46, Seite 6, Waldemar Ludwig
Bild ganz rechts: Westlich von Türkenfeld: Aufklärungsfoto der Royal Air Force 20. April 1945 (Quelle: Gemeindearchiv, Copyright: National Archiv Washington RG373_AERIAL-FILM_C4778_DN5460_VV_3125_01 Zu sehen sind in der Bildmitte: Geltendorfer Straße; Rechts oben: Strukturen des im Bau befindlichen Arbeitslagers (Flurname „Spitz“); Gebäude unterhalb der Mitte: Bauten für Arbeiter, drei fast fertiggestellt, sechs mit Fundamenten, nach dem Krieg Kinderwagenfabrik, später Presto Bauplatten, Fa. Hirsch; Ganz unten von links nach rechts: Bahnlinie